Über die schöne Welt des Corporate Newsrooms – Ein Gespräch mit Prof. Dr. Christoph Moss

Im Gespräch mit Christoph Moss habe ich das Gefühl, dass die Welt in Ordnung ist. Er strahlt so viel Zuversicht aus und greift auf einen enormen Wissens- und Erfahrungspool zurück. Er gibt Vertrauen in eine gute Zukunft, in der man kreativ, mit Spaß und Freude, aber auch strukturiert, an seine Arbeit geht.


Prof. Dr. Christoph Moss beschäftigt sich seit 25 Jahren mit dem Thema Newsroom. Er hat Marketing mit Schwerpunkt Organisation studiert und als Wirtschaftsjournalist gearbeitet. Er hat über das Thema Organisation der Zeitungsredaktion promoviert. In seinem Studium und danach waren diese Welten immer miteinander verbunden. Im Jahr 2000 hat er angefangen, im Newsroom des Handelsblatts zu arbeiten, ihn mitkonzipiert und mitaufgebaut. Vor zehn Jahren hat er mit dem Corporate Newsroom bei Siemens begonnen. Mit seiner Agentur Mediamoss hat er bis jetzt mehr als 50 Projekte umgesetzt.

Christoph gilt als Der Experte für Newsroom-Organisation und hat das Newsroom-Modell entwickelt. Im Interview erzählt er über die schöne Welt des Corporate Newsrooms, in der Transparenz, Klarheit, Kreativität, Glaubwürdigkeit und Effizienz real werden können.

Ioana
Was ist ein Corporate Newsroom und worin unterscheidet er sich vom klassischen journalistischen Newsroom, den wir aus der Medienwelt kennen?

Christoph
Medien haben eine sehr klar definierte Zielgruppe, also etwa Nutzerinnen und Nutzer in Print, Online, Bewegtbild oder Audio. Die Zielgruppen eines Unternehmens sind vielschichtiger: Mitarbeitende, Fans, Börse, Medien, Social Media Community und viele andere. Ein Corporate Newsroom bedient also deutlich mehr Zielgruppen mit unterschiedlicher Taktung. Unternehmen können langfristige Kampagnen planen, die über anderthalb Jahre laufen. Und sie können Social Media Postings steuern, deren Reaktionszeit im Sekundenbereich liegt. Das alles können und müssen wir abbilden. Deswegen ist ein Newsroom im Unternehmen deutlich feingliedriger als im Journalismus.

Aus der Perspektive des Marketing ist der Corporate Newsroom ein Ort, an dem Content Marketing passiert. Hier werden Kampagnen geplant, Inhalte konzipiert und für die einzelnen Kanäle aufbereitet. Gleichzeitig wird der Content auf den Kanälen und Plattformen gesichtet, konsumiert und kommentiert. All dies ruft eine Reaktion des Unternehmens hervor. Das macht die Idee so reizvoll.

Ioana
Warum starten Unternehmen einen Newsroom? Welche Ziele und Vorteile sind beabsichtigt?

Christoph
Transparenz, Klarheit, Effizienz, Glaubwürdigkeit und Kundennähe, das sind die Ziele, die wir mit einem Corporate Newsroom verbinden.

Wir wollen strategische Themen identifizieren und diese punktgenau kommunizieren. Nicht mehr Masse ist entscheidend, sondern thematische Reichweite bei den Zielgruppen. Wir müssen uns also Klarheit verschaffen über die Fragen Wen wollen wir erreichen? Und mit welchem Ziel? Dann können wir die Zielgruppen genau aussteuern. Für das Marketing bedeutet dies: Weniger ist mehr.

Ioana

Wer ist für ein Newsroom-Projekt in einem Unternehmen zuständig? Wer startet das Projekt?

Christoph

Es ist eine Person, die spürt, dass Digitalisierung eine Chance ist. Jemand, der sagt: Das müssen wir als Unternehmen hinbekommen. Diese Menschen kommen in der Regel aus Kommunikation oder Marketing. Die CEOs sind meist diejenigen, die zustimmen und sagen Ja, das ganze Unternehmen muss digital werden. Und logischerweise sind Kommunikation und Marketing die ersten, die das vorleben müssen. Wenn diese Einheiten nicht digital sind, wer denn dann?

Ioana
In vielen Unternehmen bestehen immer noch Silos, die eine gute Zusammenarbeit oder gar Integration zwischen Kommunikation und Marketing nicht zulassen. Wie erleben Sie das in Ihrer Projektarbeit?

Christoph
Durch einen Corporate Newsroom verschwindet die vollkommen antiquierte Unterscheidung zwischen Marketing und Kommunikation. Die einen wollen Inhalte fürs Marketing produzieren, also Content Marketing betreiben. Die anderen wollen Inhalte für die Reputation produzieren, also für die Unternehmenskommunikation. Beides ist im Kern genau dasselbe, nämlich gelebte Kommunikation. Da, wo Unternehmen dies zusammen organisieren, steuern sie Kommunikation und Marketing aus einem gemeinsamen Newsroom heraus. Diese Einheiten haben einen unglaublichen Vorteil. Die Kommunikatoren lernen, Kampagnen zu planen und umzusetzen. Die Marketingexperten beginnen, in Themen zu denken und dafür die Inhalte zu produzieren. Beides ist wunderbar und gehört zwingend zusammen. Es nur noch eine Frage der Zeit.

Ioana
Und wenn es nicht funktioniert?

Christoph

Es gibt keinen inhaltlichen Grund, Marketing und Kommunikation nicht gemeinsam zu organisieren. Dort, wo die alten Silos bleiben, liegt es an Hauspolitik und Macht: Das ist mein Budget. Das gebe ich nicht ab. Dabei sind Budgets nur dann relevant, wenn sie thematisch motiviert sind. Es sollte immer um inhaltliche Ziele gehen: Wie gut ist das Thema? Wie wichtig ist das Thema? Wen und was wollen wir mit dem Thema erreichen?

Ein entscheidender Punkt ist, ob das Marketing eine Content-Philosophie hat. Werbeplätze zu buchen macht Spaß, wenn das Geld da ist. In Zeiten, in denen Budgets enger werden, müssen Unternehmen kreativ denken. Spätestens dann spielt Content eine Rolle. Wo dies passiert, kommt der Corporate Newsroom ins Spiel. Zum Beispiel bei SwissLife Deutschland. Die entfalten eine unglaubliche Wucht.

Statt über Budgets sollten wir also über Ideen sprechen. Wir sollten eine nachhaltige Geschichte entwickeln, die länger als ein, zwei Jahre trägt. Eine Geschichte, die ein Unternehmen neu positioniert, in eine andere Richtung bringt. Gerade in einer Zeit, in der sich alles dreht, müssen wir das digital hinbekommen. Hier scheitern gerade sehr viele Unternehmen, weil sie in alten Strukturen leben. Deswegen, glaube ich, wird uns das Thema noch viele Jahre beschäftigen.

Ioana
Wie geht man an ein Newsroom-Projekt ran?

Christoph

Die Idee beim Corporate Newsroom ist, dass wir Thema und Medium trennen. Wir definieren einen bestimmen Inhalt, weil er strategisch wichtig ist. Wir legen das Format fest. Und dann spielen wir ihn über die relevanten Plattformen aus. Dieser Inhalt wird also einmal durchdacht, einmal produziert und einmal abgestimmt. Erst dann publizieren wir ihn auf unseren Plattformen. Auf diese Weise sparen wir vielfache Abstimmungsschleifen für Video, Audio, Text und Bild.

Ioana
Wie ist ein Corporate Newsroom aufgebaut?

Christoph

Im Newsroom gibt es Verantwortliche für strategisch wichtige Themen. Darüber hinaus haben wir eine Zuständigkeit für Plattformen, Kanäle und Medien. Und es gibt jemanden, der koordiniert: Chef*in vom Dienst oder Managing Editor. Diese Person koordiniert zwischen Themen und Medien.

Übergeordnet ist ein Strategieteam. Dieses sorgt dafür, dass Unternehmensstrategie und Kommunikationsstrategie im Newsroom umgesetzt werden. Und es gibt noch eine weitere Einheit für Videoproduktion, Foto, Design und Podcast. Also für Inhalte, die aus dem Content Marketing nicht mehr wegzudenken sind.

Ioana

Es klingt so, als gäbe es in einem Newsroom eine Tendenz zum Insourcing. Viele Unternehmen wünschen sich das, arbeiten aber mit Agenturen zusammen.

Christoph

Ein Corporate Newsroom dient der Effizienz und erleichtert Insourcing. Wenn wir Unternehmen beim Aufbau eines Newsrooms begleiten, dann halten wir zunächst Inventur. Die Erkenntnisse sind hochinteressant. Denn nicht selten wird den Verantwortlichen dann bewusst, dass sie unterschiedliche Preise bei unterschiedlichen Lieferanten für dieselben Dienstleistungen bezahlt haben. Oder dass Agenturen mehrfach nahezu identische Aufträge abarbeiten. Dies ist das Ergebnis von veralteter Planung und Steuerung.

Im Newsroom gibt es eine klare Tendenz, bestimmte Dinge entweder im Haus zu produzieren oder Leadagenturen zu beauftragen für Text oder Video. Und natürlich lassen sich ganze Kanäle auch komplett an Agenturen auslagern.

Ioana

Wie werden diese Schnittstellen in einem Newsroom abgebildet?

Christoph

Agenturen sorgen für Schnittstellen, die wir ehrlich definieren müssen. Hat das Unternehmen einen Dienstleister, der alles macht? Oder gibt es Agenturen, die sich spezialisieren? Oder sind es Anbieter, die tatsächlich alles können, dann aber zugeschnitten auf unterschiedliche Themen? Oder auf bestimmte Kanäle? Diese Klarheit ist wichtig, damit wir Agenturen sauber einbinden können.

Marketing ist sehr prozessorientiert und damit pannenanfällig. Deshalb ist es gut, dass ein Newsroom die Zahl der Schnittstellen deutlich verringert. Ein Prozess läuft vor allem dann reibungslos, wenn es nur diesen einen Prozess gibt. Im echten Leben besteht ein Unternehmen aber aus tausenden Prozessen. Und irgendjemand muss dieses Durcheinander koordinieren. Dann vergessen wir sehr schnell, wer an welcher Stelle des Prozesses wofür verantwortlich ist.

Ein Corporate Newsroom klärt zuerst diese Verantwortlichkeiten. Damit schaffen wir eine genaue Übersicht darüber, wer im Prozess welche Rolle spielt, wer Verantwortung übernimmt und wer welche Aufgabe hat. Das ist etwas, was viele Marketing-Abteilungen, nicht schlüssig definiert haben. In der Realität ist es oft so: Jemand ist zuständig für Text, jemand anderes für Foto oder Konzeption. Nur dass die Texterin eben zehnmal texten muss für zehn unterschiedliche Projekte. Und dies gilt auch für den Kollegen aus Foto und Konzeption. Jeder und jede ist für jeweils einen Schritt pro Prozess zuständig, steckt aber gleichzeitig in zehn Prozessen. Die Folge ist ein Stau. Wer hat jetzt Vorfahrt? Nach welcher Logik entscheiden wir? Das können wir mit dem Corporate Newsroom lösen, weil hier das stärkste Thema immer als erstes bearbeitet wird.

Ioana

Wie wichtig ist eine Systemlandschaft und damit die IT-Abteilung für den Newsroom?

Christoph
Ein Newsroom lebt von Planung und Transparenz. Dabei sollte die IT helfen. In der Realität haben Marketingabteilungen oft Systeme, bei denen mir die Teams leidtun. Wo ist das Asset abgelegt? Wo kann man Dinge archivieren? Diese Arbeitsweisen sind bürokratisch korrekt, aber überhaupt nicht kreativ. Die sind so spannend wie eine Reisekostenabrechnung. Es macht keinen Spaß, mit so etwas zu arbeiten. Der Newsroom kennt Tools, die Spaß machen. Weil sie vom Thema aus denken und kommunizieren.

IT denkt traditionell sehr stark in Prozessen. Wir können aber nur dann in Prozessen denken, wenn wir vorher die Grundlagen dafür geschaffen haben und die Strukturen stimmen. Sonst ist es wie bei Kindern, die Fußball spielen. Alle rennen gleichzeitig zum Ball und wundern sich, dass nur einer den Ball hat. Die anderen wissen nicht, was sie tun sollen. Der Trainer muss also seinem Team sagen, wo sie überhaupt stehen und wohin sie laufen sollen. Nur dann kann der Ball geschmeidig übers Spielfeld laufen. Bei Marketing und Kommunikation ist dies ähnlich. Viele wollen dasselbe. Viele rennen gleichzeitig los. Aber nur einer oder eine kann den Ball haben und vernünftig weiterspielen. Wenn wir dies sortieren und der Knoten entwirrt ist, können wir in Prozessen denken. Und dann schlägt die Stunde der IT.

Ioana

Es gibt immer noch Unternehmen, die Excel für die Planung nutzen.

Christoph

Excel ist ein Kalkulationsprogramm, perfekt für Controller. Wie wollen Sie damit kreativ Themen steuern? Man sollte es in Marketing- und Kommunikationsabteilungen verbieten. Dann lieber Zettel auf eine Tafel kleben und mit einem Filzstift beschreiben. Das ist völlig in Ordnung.

Ioana
Und jetzt Ihr Wunsch an die gute Fee?

Christoph

Ich würde mir weniger Politik wünschen in den Unternehmen. Gerade die Verantwortlichen haben Sorge, Macht zu verlieren. Kommunikatoren sind da schon einen Schritt weiter als das Marketing. Immer wenn es um Geld und Budgets geht, wird es kritisch. Ich würde mir wünschen, dass da ein bisschen mehr Vertrauen, ein bisschen mehr Einsicht wäre. Denn dann würden Unternehmen viel Geld sparen und sinnvolle Dinge tun.


Performance Marketing ist wichtig, aber der Begriff Performance ist eine reine Selbstverständlichkeit. Ich sehe die Zukunft im Content Marketing. Das gilt für B2C und besonders stark für B2B. Dadurch entsteht ein kreativer, empathischer Prozess: Mit welchem Inhalt kann ich eine Wirkung erzielen?

Ich freue mich darauf, dass Menschen gerne Wissen teilen, gemeinsam planen und arbeiten. Die Budgets werden schrumpfen. Dann wird die Frage kommen: Wie können wir mit guten Inhalten arbeiten? Und dafür ist ein Corporate Newsroom exakt die richtige Antwort.

Leave a Reply