Wie baut man einen Unternehmens-Newsroom? Interview mit Grischa Brower-Rabinowitsch – Leiter externe Kommunikation und Themenmanagement R+V Versicherung

Ich habe Grischa Brower-Rabinowitsch in New York bei einer Studienreise zum Thema Digitalisierung kennengelernt. In seiner damaligen Funktion als Redakteur beim Handelsblatt hat er den Teilnehmern unserer Studienreise eine beeindruckende Einführung in das Thema „Innovation in den USA“ gegeben. Grischa war für den New Yorker Handelsblatt-Newsroom zuständig, für die Kolumne „44 Wall Street” und für die Video-Kolumne „New York Stock Exchange“. In den folgenden Jahren, zurück in der Düsseldorfer Redaktion, war er Ressortleiter für den Bereich Unternehmen und Märkte. Mit seinem ausgeprägten journalistischen Background und der Newsroom-Expertise waren Grischas Erfahrung und Innovationskraft aber auch für andere Industrien interessant.

Heute ist er Leiter externe Kommunikation und Themenmanagement bei der R+V Versicherung. In dieser Funktion hat er den R+V-Newsroom mit konzipiert und implementiert. Ich wollte mehr über das Projekt wissen und habe meinen Ex-Kollegen um ein Interview gebeten.

Ioana: Wie kamen Sie auf die Idee des Newsrooms bei der R+V?

Grischa: Auf die Idee musste ich ehrlicherweise gar nicht mehr kommen. Als ich vor gut zwei Jahren bei der R+V angefangen habe, hatte sich der Vorstand bereits für einen Newsroom entschieden. Mich hat das gefreut, weil ich das Konzept schon von meinem früheren Arbeitgeber, dem Handelsblatt, kannte. Dort war ich von der ersten Stunde an dabei und damit quasi ein Kind des Handelsblatt-Newsrooms. Dort habe ich viele Jahre in verschiedenen Positionen gearbeitet und kenne die Mechanismen und Vorteile. Deshalb war ich froh, dass die Kommunikation der R+V das Konzept übernehmen wollte. Wir konnten im Team mehr oder weniger direkt damit loslegen. Natürlich unterscheidet sich ein Unternehmens-Newsroom von einem journalistischen – aber die Erfahrungen haben mir durchaus geholfen.

 

Ioana: Wie sind Sie an das Projekt herangegangen?

Grischa: Zunächst einmal war mir klar, dass wir Hilfe brauchen, weil wir in der Konzern-Kommunikation nur wenig Erfahrungen mit einem Corporate Newsroom hatten. Wir wollten von anderen Unternehmen lernen und haben uns einige Newsrooms angeschaut. Außerdem brauchten wir Hilfe bei der Entwicklung und Umsetzung. Deshalb habe ich früh einen der führenden Experten als Berater eingebunden. Eines war mir von Anfang an wichtig: Wir müssen die Mitarbeiter ernsthaft mitnehmen, sie teilhaben lassen. Da ist es eine große Hilfe, wenn externe Berater ihre Erfahrung aus anderen Unternehmen und vor allem aus dem Prozess der Newsroom-Entwicklung mitbringen. Ein Corporate Newsroom ist nicht für alle Mitarbeiter eine Revolution, aber es ist ein neues Modell der Zusammenarbeit und damit ein Change. Und jeder Newsroom ist am Ende anders.

 

Ioana: Hatten Sie auch ein internes Team? Oder waren Sie allein die treibende Kraft des Projekts?

Grischa: Zu allererst habe ich mich selbst so gut es geht informiert, um die Unterschiede zum Journalismus zu verstehen: Welche Möglichkeiten gibt es in einem Unternehmen? Was kommt für uns in Frage? Wie funktioniert ein Newsroom in der Konzern-Kommunikation? Bei der Suche nach den Antworten haben mir ein externer Projektmanager und auch der Berater geholfen. Am Ende war für mich klar: Wir müssen die Themen in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen.

 

Ioana: War das noch nicht so? Wie war die Kommunikation der R+V bis dahin organisiert?

Grischa: In der Vergangenheit hatte die R+V eine klassische Aufteilung in interne und externe Kommunikation – ohne redaktionell übergreifende Strukturen. Einige Kollegen kümmerten sich beispielsweise um die Presse, andere um den Intranet-Auftritt oder das Mitarbeitermagazin. Alle hatten klare Verantwortung für Medien oder für Zielgruppen. Natürlich hat auch hier jeder Einzelne einen tollen Job gemacht und die Kollegen haben sich untereinander geholfen. Aber es fehlte der institutionalisierte Austausch über Themen und die Zuständigkeiten nach Themen. Wer wie wo an was arbeitet – das hat man eher zufällig erfahren.

 

Ioana: Wie haben Sie die für einen Newsroom notwendigen Prozess-Workflows analysiert?

Grischa: Zunächst einmal ging es darum, die Rollen im neuen Newsroom gemeinsam mit dem ganzen Team zu definieren. Danach haben wir beispielhafte Workflows durchgespielt: Was passiert mit einem Thema? Wer bearbeitet wie, wo, was, wann? Ich muss inzwischen aber selbstkritisch sagen, dass wir manche Prozesse nicht ausreichend beleuchtet haben. Je mehr sie Prozesse und Abläufe im Vorfeld üben, umso einfacher haben Sie es später. Ich war am Ende zu ungeduldig, was sicherlich auch daran lag, dass ich noch nicht so lange in einem Konzern gearbeitet habe.

 

Ioana: Wie meinen Sie das konkret?

Grischa: Für einen Konzern-Neuling, der aus dem Journalismus kommt, ist die Beschreibung von Prozessen und Workflows etwas ungeheuer Bürokratisches. Aus meinem journalistischen Redaktionsumfeld war ich schnelle Entscheidungen gewohnt, habe vieles einfach mal ausprobiert. Was ich lernen musste: Die Bedeutung von Prozess- und Workflow-Beschreibungen in Unternehmen beruht auf jahrzehntelanger Erfahrung. Bei meinem Zeitplan spiegelte sich meine journalistische Denkweise wider: Wir haben Ende 2018 mit den ersten Workshops angefangen und bereits im Juli 2019 den Probebetrieb gestartet.

 

Ioana: Was hatte das für Auswirkungen?

Grischa: Positiv war: Wir sind schnell reingekommen in unser neues Modell und haben sehr früh angefangen, es zu leben. Natürlich gab es immer wieder Situationen, in denen wir uns gefragt haben: Wie machen wir das jetzt? Und zwar im Kleinen, wie im Großen. Das kann Mitarbeiter verunsichern. Die in meinen Augen größte Veränderung war die neue Position des Chefs vom Dienst. Diese Rolle war für meine Kollegen ungewohnt, etwa weil der CvD das Tagesgeschäft koordiniert, ohne ein Vorgesetzter zu sein. Und gerade hier merken Sie schnell, ob die Prozesse und Workflows ausgereift sind. Einen Newsroom entwerfen Sie aber nicht am Reißbrett wie ein Gebäude und dann ist er fertig. Das ist positiv, man kann und sollte dieses Zusammenarbeitsmodell immer wieder überdenken und gegebenenfalls anpassen.

 

Ioana: Sie haben keinen Großraum für einen Newsroom, wie es traditionell in Unternehmen oder Medienhäusern üblich ist. Sie haben von Anfang an einen virtuellen Newsroom aufgebaut. Wie hat das funktioniert?

Grischa: Das hatte vor allem einen Grund: Uns fehlte ein entsprechendes Großraumbüro. Die R+V wächst seit Jahrzehnten und stellt permanent neue Mitarbeiter ein. Wir hatten einfach keinen Platz – schon gar nicht an geeigneter Stelle, also in der Nähe unseres Vorstands. Und eine B-Lösung irgendwo außerhalb des Kern-Campus in Wiesbaden wollten wir nicht. Die damalige Perspektive: in drei Jahren ein Großraumbüro in einem Neubau. Deshalb mussten wir es virtuell hinbekommen. Für mich ist das kein Nachteil. Schließlich ist ein Newsroom in erster Linie ein Zusammenarbeitsmodell und kein physischer Raum. Natürlich kann ein gemeinsames Büro das Modell unterstützen, weil der Austausch hier noch direkter ist. Eine Voraussetzung für einen gut funktionierenden Newsroom ist der Raum aber nicht.

 

Ioana: Was ist denn unbedingt nötig in einem virtuellen Newsroom?

Grischa: Sie brauchen eine gemeinsame Arbeitsplattform, ein digitales Planungstool. In einem Großraum können Sie Planung, News und die Medienanalyse an die Wand werfen oder auf großen Screens anzeigen, so dass jeder immer alles im Blick hat. Wenn die Kollegen in klassischen Zweier- oder Dreier-Büros arbeiten, geht das verständlicherweise nicht. Deshalb brauchten wir zwingend ein Tool. Das hat die intransparenten persönlichen Excel- oder Word-Dokumente überflüssig gemacht, in denen die Kollegen jeder für sich ihre Planung festgehalten haben. Ein gemeinsames Tool, in dem alle arbeiten, erzeugt aber nicht nur Transparenz, sondern fördert meiner Meinung nach auch die Teambildung. 

 

Ioana: Wie arbeiten Sie jetzt konkret bei der R+V?

Grischa: Wir stellen die Themen in den Mittelpunkt. Dafür haben wir die interne und externe Kommunikation zusammengelegt. In unserer neuen Struktur gibt es Themen- und Medienmanager. Die Themenmanager sind Spezialisten für bestimmte Bereiche im Unternehmen und bereiten die Inhalte für die interne und externe Veröffentlichung auf. Die Medienmanager sind die Experten für unsere unterschiedlichen Kanäle – angefangen von Newslettern über das Unternehmensmagazin bis hin zum Intranet, der Website und Social Media. Wir tauschen uns jeden Morgen kurz aus, einmal die Woche in einer längeren Redaktionskonferenz. Dadurch kann jeder nachvollziehen, wer an was arbeitet. Außerdem schaffen wir Synergien – jeder kann bei den Themen den Finger heben und sagen „Dazu habe ich noch eine Idee“ oder „Dazu habe ich auch etwas gehört“ oder „Das Thema ist bei mir auch aufgeschlagen“. Jetzt sind wir ein großes Team, das in kleinere Teams aufgeteilt ist.

 

Ioana: Wie hat sich der Newsroom mit Blick auf Corona bewährt?

Grischa: Mit den ersten Ausgangsbeschränkungen im März haben wir bei der R+V auf einen Notbetrieb umgestellt. In kürzester Zeit waren 90 Prozent der Mitarbeiter im Homeoffice. Da gab es nur noch ein Thema: Corona. Das betraf natürlich auch uns in der Konzern-Kommunikation. Wenn man sich nicht mehr trifft und nur noch digital miteinander redet, geht bei der Zusammenarbeit vieles verloren. Aber organisatorisch lief der Newsroom genauso gut weiter wie vorher. Zum Glück hatten wir ihn schon vorher etabliert. Die Strukturen sind eingespielt und bewähren sich in dieser Zeit. Ich vermute, ohne den Newsroom hätte uns Corona härter getroffen.

 

Ioana: Was ist der nächste große Schritt in Ihrem Newsroom?

Grischa : Die engere Verzahnung mit Marketing. Kommunikation und Marketing haben ein Ziel: Beide wollen mit ihrer Arbeit das Image und den Markterfolg des Unternehmens positiv beeinflussen sowie die Bekanntheit steigern. Auch wenn wir unterschiedlich an Themen herangehen, sollten wir uns regelmäßig austauschen und – immer wenn es sinnvoll ist – auch zusammenarbeiten.

 

Ioana: Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem Marketing bisher?

Grischa: Bei der R+V fehlte viele Jahre lang der institutionalisierte Austausch zwischen dem Marketing und der Konzern-Kommunikation. Eine mögliche Ursache: Bei uns ist das Marketing im Vertrieb angesiedelt und die Kommunikation im Ressort Vorstandsvorsitz. Mit der Einführung des Newsrooms haben wir auch hier den Austausch verbessert. Bei unserer wöchentlichen Redaktionsrunde ist jetzt immer ein Marketing-Kollege aus der Vertriebs-Kommunikation dabei. Das ist wichtig, weil sich unsere Themen häufig überschneiden. Im Gegenzug nimmt unser Chef vom Dienst an der regelmäßigen Runde der Vertriebskommunikatoren teil. Außerdem haben wir ganz neu einen Austausch auf der Abteilungsleiter-Ebene etabliert. Hier sprechen wir über große Themen, die Fokussierung auf Zielgruppen und die Weiterentwicklung bestimmter Kanäle.

 

Ioana: Nutzen Sie das Planungstool auch gemeinsam?

Grischa: Ja, wir haben es sogar gemeinsam ausgesucht. Da wo es sinnvoll ist, bauen wir dieses Tool nach und nach zu einer gemeinsamen Arbeitsplattform aus. Am Ende wird so die direkte Kommunikation auf Arbeitsebene und auf Leitungsebene unterstützt. Das verfolgen inzwischen viele mit Herzblut.

 

Ioana: Kommen Sie sich nicht manchmal auch inhaltlich in die Quere?

Grischa: Natürlich haben wir unterschiedliche Zielgruppen im Blick. Im Marketing steht das Thema Kunde und Kundenakquise im Vordergrund. Unsere externe Zielgruppe sind die Medien, die Öffentlichkeit. Bei den Journalisten wollen wir auf gar keinen Fall in den Verdacht kommen, auf Kundenfang zu gehen. Aber darüber tauschen wir uns mit dem Marketing konstruktiv aus und stellen gelegentlich fest: An manchen Punkten muss jeder seinen eigenen Weg gehen. Aber der Austausch darüber fördert auch das gegenseitige Verständnis.

 

Ioana: Hat Ihre Erfahrung als Journalist Ihnen geholfen bei diesem Projekt?

Grischa: Ja, davon bin ich überzeugt. Nicht nur, weil ich das Konzept Newsroom schon kannte, sondern auch, weil im Journalismus immer das Thema im Mittelpunkt steht. Viele Unternehmen etablieren heute Newsrooms mit dem Ziel, selbst Themen zu setzen. Auch wir erzählen unsere Geschichten selbst und zwar auf den unterschiedlichsten Kanälen. Mit diesem journalistischen Ansatz erreichen wir unsere Zielgruppen unmittelbar und nicht mehr ausschließlich über die Medien. Das war früher undenkbar. Die Journalisten bleiben aber wichtige und glaubwürdige Multiplikatoren. Übrigens: Egal ob Film, Podcast, Reportage oder Nachricht – wir machen fast alles selbst. Das freut mich und da kann ich meine Erfahrung als Journalist einbringen.

 

Ioana: Ich habe eine schöne Abschlussfrage: Wenn eine gute Fee käme und Sie hätten einen Wunsch für Ihren Kommunikationsbereich frei, was wäre ihr Wunsch?

 

Grischa: Etwas ganz Konkretes: Eine Mitarbeiter-App, in der wir die gesamte Kommunikation bündeln, die von uns gesteuert wird und noch viele andere Services einbinden. Mit dem Projekt will ich kommendes Jahr beginnen. Zum Glück kann ich dabei auf die tolle Vorarbeit einer Kollegin aufbauen, die mit ihrem Team eine Willkommens-App für neue R+V-Mitarbeiter entwickelt hat. Aber Sie können sich sicher vorstellen, dass das für mich als Konzern-Neuling ein großes Projekt mit vielen Stakeholdern ist. Andererseits bin ich nach rund zwei Jahren gut in meinem neuen Job angekommen und kann sagen: Ich freue mich sogar auf die Entwicklung der Prozesse und Workflows und die gemeinsame Arbeit mit vielen Kollegen aus den unterschiedlichsten Bereichen.

 

Ioana: Ich wünsche Ihnen ganz viel Glück für die Entwicklung der Mitarbeiter-App und die weitere Vertiefung der Zusammenarbeit mit dem Marketing. Danke für das Interview.